ANALYSE:
Das Hauptmotiv des lyrischen Ichs ist die Nacht verbunden mit der Sehnsucht nach Liebe. Es sehnt sich nach einem Kuss in seinen Träumen (V.3-4). Allerdings kann man nicht fest davon ausgehen, dass es diesen bereits in der Realität gab. Zudem verbindet das lyrische Ich die Nacht mit positiven Gefühlen wie Glück und Freude und der Tag stellt das Gegenteil dar, denn nur die Träume in der Nacht können ihre Sehnsucht nach einem Kuss stillen.
In der ersten Strophe des Gedichtes von Vers 1 bis 4 berichtet das lyrische Ich von einem Kuss, der ihr neue Energie zum Leben schenkte und gleichzeitig ihre Sehsucht linderte. Nun wünscht sie sich die Nacht herbei, damit sie weiterhin von dem Kuss träumen kann.
Diese Gedanken und Gefühle werden in den nächsten Strophen erneut wieder gegeben. In der zweiten Strophe kommt hinzu, dass allein der Traum bzw. die Nacht das einzig Schöne in ihrem Leben ist.
In der folgenden Strophe erklärt das lyrische Ich, dass der Tag das Gegenstück zur Nacht ist. Er wird mit negativen Stimmungen und Empfindungen assoziiert. Die letzte Strophe verknüpft die Gefühle für den Tag und die Nacht. Das lyrische Ich äußert, dass sich nur in der Nacht die Wünsche erfüllen können und den Schmerz lindert.
Der formale Aufbau des Gedichtes sieht wie folgt aus:
Das Gedicht hat 14 Verse und vier Strophen. Bei den ersten beiden Strophen handelt es sich um Quartette, in denen die These wiedergegeben wird. Die dritte Strophe ist ein Terzett und beinhaltet die Antithese. Das letzte Terzett (die vierte Strophe) verbindet Antithese mit der These. Dies ist also die Synthese. Das Reimschema lautet abba abba cde cde, wobei fast alle Verse elfsilbrig sind, ausgenommen sind der erste und vierte Vers der Quartette. Aus diesem Aufbau kann man schließen, dass es sich bei dem Gedicht um ein Sonett handelt.
Um die Gedanken(-gänge) des lyrischen Ichs zu verstehen und nachvollziehen zu können, ist eine Analyse der rhetorischen und stilistischen Mittel hilfreich und auch notwendig. In dem Gedicht werden vor allem Wörter aus den Wortfeldern „Nacht“ und „Tag“ verwendet. Zu dem Wortfeld Nacht gehören Wörter wie „Dunkelheit“ (V.3), „umnachten“ (V.3) und „Träume“ (V.5 und 6). Wörter wie „Licht“ (V. 10) „Sonne“ (V.11) und „Gluten“ (V.11) zählen zum Wortfeld „Tag“.
Das Wortfeld der Nacht wird anders als heute als positiv empfunden. Dies wird durch weitere sprachliche Mittel betont, z.B. durch die Verwendung von Personifikationen in Kombination mit den genannten Wörtern. Das lyrische ich spricht zur Dunkelheit und sagt: „Komm, Dunkelheit! Mich traulich zu umnachten…“ (V.3). Damit möchte es ausdrücken, dass die Dunkelheit vertraut ist und es sich nach ihr sehnt, um erneut glücklich zu werden. Gleiches wird mit folgender Personifikation erreicht: “Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht“ (V.8). Sie meint, dass die Nacht bzw. die Träume des lyrischen Ichs die Schmerzen lindert und ihn somit beglücken. Außerdem dienen die Nacht und der Traum als Fluchtmöglichkeit von der Wirklichkeit.
Die negative Haltung gegenüber dem Tag wird durch die Wortwahl eindeutig geäußert. Er wird als „karg“ (V.9) bezeichnet und sein Licht verletzt ihn (wahrscheinlich emotional) (vgl.V.10). Man kann ebenfalls darauf schließen, dass der Tag ein Symbol für die Wahrheit und Realität ist. Die Nacht hingegen lässt der Phantasie keine Grenzen. Dort ist es dunkel und wenn es dunkel ist, kann man nicht alles klar erkennen und wahrnehmen, sodass Phantasie und Kreativität erforderlich. Für die Literaten der Romantik war dies charakteristisch. Damit wird jedoch auch die Kritik an der Aufklärung, einer Epoche vor der Romantik, geäußert. Man solle nicht alles nach dem Verstand und der Vernunft entscheiden sondern vor allem im Traum die Wünsche der Seele zu ergründen. Ebenfalls wird das mystische und überirdische im Gedicht behandelt, welches Charakteristika der Romantik sind. Der Tag ist „irdisch“ (vgl. V.12) und somit ist die Nacht überirdisch. Das wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass nur die Nacht personifiziert wird der Tag allerdings nicht.
Des Weiteren ist auffällig, dass das lyrische Ich in den ersten drei Strophen die Personalpronomen „mir“ (V.1), „ich“ (V.6) und „mich“ (V.10) verwendet. In der letzen Strophe wird ihr gegenüber bzw. der Leser angesprochen durch die Personalpronomen „dein“ und „dich“ (V. 13). Man kann vermuten, dass er seine Erkenntnis, dass die Nacht allgemein „besser“ als der Tag bzw. die Phantasie besser als die Realität ist, dem Leser weitergeben möchte.
Der Bezug auf Lethe im letzten Vers betont, dass das lyrische Ich die Realität nicht kennen, vergessen und für ewig im Traum leben möchte, denn Lethe ist in der Mythologie ein Fluss in der Unterwelt. Die Seele, die daraus trinkt, verliert die Erinnerung an das irdische Leben. Der Bezug bedeutet ebenfalls, dass Nacht und Traum für den Tod stehen und dem entsprechend der Tag für Leben.
Man kann anhand der Analyse des Gedichtes darauf schließen, dass das Leben des lyrischen Ichs unerfüllt ist, denn es verbindet mit der Realität nur Schmerzen und Sehnsüchte, wobei im Traum also in der Phantasie alles möglich erscheint und diese ihn glücklich macht. Zudem vermittelt es den Eindruck nie wieder aufstehen zu wollen, stattdessen immer nur zu träumen. Wenn man diese Empfindungen auf die Autorin bezieht, könnte diese Vermutung zutreffen, denn wenige Jahre nach der Veröffentlichung dieses Gedichtes begeht sie einen Suizid. Im Tod könnte sie dann für immer die Phantasie ausleben. Außerdem stand Karoline von Gründerode vor demselben Konflikt wie das lyrische Ich und wahrscheinlich ist die Autorin das lyrische Ich. Ihre zweite große Liebe Friedrich Creuzer verließ sie nach kurzer Zeit, sodass sie sich unter anderem deswegen umbrachte.
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